„Vergaberecht ist ein Belohnungs-Tool, keine Bestrafung“

TRANSFORMATION. Seit der Gründung vor fünf Jahren hat sich die auf Vergaberecht spezialisierte Kanzlei SCHIEFER Rechtsanwälte deutlich gewandelt. Digitalisierung, Umwelt und Regionalität sind die wesentlichen Themen an den fünf Standorten der Kanzlei.

 

Interview: Dietmar Dworschak

Anwalt Aktuell: Herr Magister Schiefer, wie sehen Sie die ersten fünf Jahre Ihrer Kanzlei?

 

Martin Schiefer: Die vergangenen fünf Jahre waren wie eine Reise auf der Kanonenkugel. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, Ideen und Neuerungen umzusetzen und die Kanzlei Schritt für Schritt zu transformieren. Wir waren während den fordernden Pandemiejahren immer fit, immer digital, und haben uns organisatorisch so aufgestellt, dass wir mit unseren rund 50 Kolleg:innen über die Bundesländergrenzen hinweg ideal zusammenarbeiten können. Wir verstehen uns als interdisziplinäres Team, das nicht nur aus den klassischen Rechtsexpert:innen, sondern auch aus Projektentwickler:innen, Nachhaltigkeitsmanager:innen und KI-Expert:innen besteht. Durch diese Vielfalt können wir unseren Mandanten eine umfassende Beratung und Vertretung in nahezu allen Rechtsbereichen bieten. Das braucht es auch, denn Schiefer Rechtsanwälte ist schon lange keine One-Man-Show mehr. Dass wir die führende Vergaberechtskanzlei in Österreich sind, ist gerade unserem großartigen Team geschuldet.

 

Anwalt Aktuell: Wie stark hat dieses Unternehmen mit ChatGPT und künstlicher Intelligenz zu tun?

 

Martin Schiefer: Mit Digitalisierung im Allgemeinen sehr viel - nach innen wie nach außen. Wir sind stark in der IT-Ausschreibungsszene verankert, haben vom elektronischen Akt. kurz ELAK - in den frühen 2000er bis zur visit-e so ziemlich alle Entwicklungen der vergangenen Jahre begleitet. Die Digitalisierung der Republik ist im Grunde genommen unser Steckenpferd. Dafür braucht es auch gute Berater:innen. In der Kanzlei arbeiten wir natürlich auch mit KI-Tools wie ChatGPT. Wir sind überzeugt, dass KI das Potenzial hat, die Rechtsberatung im Positiven zu verändern. Daher nutzen wir bereits heute KI-basierte Tools und Systeme, um auch unsere internen Prozesse zu optimieren. Durch den Einsatz solcher Tools können wir Dokumente teils schneller und präziser erstellen und uns so auf die strategische Beratung unserer Mandanten konzentrieren.

Unser Ziel ist es, KI verantwortungsvoll und transparent einzusetzen. Wir nutzen daher nur dann KI-basierte Systeme, wenn diese einen klaren Mehrwert für unsere Mandanten bieten und die ethischen Standards unserer Kanzlei einhalten. Auf diesem Grund engagieren wir uns auch für den Digitalen Humanismus. Was die KI insgesamt betrifft, gehe ich davon aus, dass derjenige, der die Maschine bedient, der Sieger sein wird. Die Maschine wird nicht den Anwalt ersetzen.

 

Anwalt Aktuell: Der EU-Rechnungshof hat Anfang Dezember festgestellt, dass Österreich europaweit zu den Schlusslichtern in Sachen Wettbewerb bei öffentlichen Vergaben gehört. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?

 

Martin Schiefer: Da bin ich in engem Austausch mit der Berichterstatterin des EU-Rechnungshofes, wir hatten auch schon einen sehr informativen und offenen Termin dazu. Die Analyse des Berichts bringt unterschiedliche Ursachen zu Tage.

Wir haben im österreichischen Vergabewesen durch die übergelagerte Compliance eine "Technisierung", die dazu führt, dass viele Auftraggeber versuchen, Ausschreibungen zu vermeiden, DAs ist das eine. Auf der andern Seite interessieren sich immer weniger Bieter für öffentliche Aufträge. Der Formalismus ist einfach zu groß. Klassisches Beispiel: Biowärme, Bio-Heizanlagen oder Windkraft: Bei am Markt stark nachgefragten Produkten bekommen Sie auf öffentliche Ausschreibungen wenig bis gar keine Angebote mehr aus der Privatwirtschaft. Der Bietermarkt ist kleiner geworden.

 

Anwalt Aktuell: Österreich hat ja nicht nur bei Vergabeverfahren, sondern auch beim Klimaschutz Verbesserungsbedarf. Zukunftsfrage: Könnten formell saubere und inhaltlich in Richtung Umwelt fokussierte Vergabeverfahren hier zwei Fliegen auf einen Schlag treffen?

 

Martin Schiefer: Da sprechen Sie genau das an, wofür wir als Kanzlei stehen. Wir sagen: Vergaberecht ist ein Belohnungs- und kein Bestrafungs-Tool. Wir müssen uns nicht einschränken, sondern viel mehr resilienter werden. Wenn der österreichische Staat seine 60 Vergabe-Milliarden in vorbildlich wirtschaftende Unternehmen investiert, die ihre Gewinne wiederum in Europa investieren und nicht auslagern, dann wird Vergaberecht zu einem der größten Hebel in Sachen Klimaschutz.

Oft werden Dinge auch schlechter geredet, als sie eigentlich sind: Wir haben erst gestern diskutiert, wie viel Geld nötig ist, um das Wasserstoffnetz in Österreich fit zu machen. Kein Mensch weiß, dass es dafür in Wirklichkeit sehr wenig Anstrengung benötigt. Denn 80 Prozent des Netzes sind bereits jetzt wasserstofftauglich. An den restlichen 20 Prozent wird bereits gearbeitet.

 

Anwalt Aktuell: Die Zauberworte für die Klimawende lauten „Green Deal“ und „ESG“. Gibt es auf EU-Ebene und national ausreichend Vorschriften und Gesetze, damit diese Grundsätze in Vergabeverfahren berücksichtigt werden?

 

Martin Schiefer: Die gab es bereits seit 2018, nämlich im damaligen Bundesvergabegesetz. Am Ende des TAges ist es der Fantasie und Freiheit des Bundes überlassen, ob und wie er den gesetzlichen Rahmen nützt. Etwa, indem Ausschreibungskriterien angepasst und heimische Vorzeige-Unternehmen entsprechend belohnt werden. Man kann natürlich auch fragen: Warum kommt die alte CO2 -Bepreisung da nicht hinein? Warum reden wir immer noch von den Herstellungskosten und nicht vom Lebenszyklus? Wenn wir übrigens den Lebenszyklus betrachten, sind wir in Europa ganz vorne mit dabei.

 

Anwalt Aktuell: Seit dem 1. Jänner dieses Jahres sind 49.000 Unternehmen in der EU und 2.000 in Österreich zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Was bedeutet das?

 

Martin Schiefer: Dass man sich fragen muss, was man als Unternehmer in den unterschiedlichen Kriterien tut, um besser zu werden. Es reicht nicht nur, groß zu reden, es müssen Normen nachweislich eingehalten werden. Da entsteht gerade ein großer Beratermarkt, es geht um Aufträge in Millionenhöhe.

Was es auch bedeutet, ist, dass kleine und mittlere Unternehmen dringenden Handlungs- und Unterstützungsbedarf haben. Wenn man davon spricht, dass ein bis zwei Vollzeitäquivalente gebraucht werden, um diese Anforderungen zu erfüllen, dann kann man sich vorstellen, was das für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet. Auch für unsere Kanzlei wird das eine Challenge werden.

 

Anwalt Aktuell: Wird die Nichtlieferung dieser Berichte sanktioniert?

 

Martin Schiefer: Es geht gar nicht so sehr um Sanktionen, sondern vielmehr darum, dass man als Unternehmen, das hier säumig ist, plötzlich keine Aufträge mehr bekommt. DA gibt es gute Beispiele von Top-Zulieferern, die dieser Regelung in Österreich noch nicht unterworfen sind, aber von deutschen Konzernen eine entsprechende Aufforderung bekommen, ihr Nachhaltigkeitsbemühungen nachzuweisen. Wer das nicht dokumentieren kann, wird ausgelistet.

 

Anwalt Aktuell: Ihre Kanzlei hat eine Umfrage über die Vergabepraxis in österreichischen Gemeinden in Auftrag gegeben. Ein Ergebnis lautet: Den meisten geht es finanziell schlecht. Welche Auswirkungen wird das für die Vergabepraxis 2024 haben?

 

Martin Schiefer: Wir hoffen, dass es uns nicht in alte Fahrwasser zurückführt. Stichwort: „Billigstbieter-Prinzip." Gerade jetzt ist es wichtig, die engen Märkte und Budgets zum Anlass zu nehmen, kreativ zu sein. Durch ESG haben wir die Chance, unsere regionalen Unternehmen, die sich in Energiegemeinschaften engagieren, ihren Beitrag bei Freiwilligenorganisationen leisten und generationenübergreifend tätig sind, zu unterstützen und zu fördern.

 

Anwalt Aktuell: Regionalität ist auch ein starkes Stichwort für Ihre Kanzlei. Sie sind außer in der Bundeshauptstadt auch in Graz, Salzburg, St. Pölten und Klagenfurt vertreten...

 

Martin Schiefer: … und bald auch in Linz und Innsbruck. Wir werden uns über die derzeit 12 Anwältinnen und Anwälte, 12 Konzipientinnen und Konzipienten sowie das Kanzleipersonal Schritt für Schritt erweitern.

Neben der regionalen Verwurzelung sind uns aber auch internationale Netzwerke wichtig. Gerade bei der Bekämpfung des Klimawandels müssen wir stärker in grenzüberschreitenden Kooperationen und Beschaffungsnetzwerken denken. Neu denken heißt: Seine Wurzeln nicht vergessen, für das Neue offen sein.

 

 

Herr Magister Schiefer, danke für das Gespräch.

 

Schiefer Rechtsanwälte GmbH

Rooseveltplatz 4–5/5 1090 Wien

T: +43 1 402 68 28

www.schiefer.at