„Es gibt keinen Grund zum Jammern“

Ludwig Adamovich, der frühere Präsident des VfGH, hat mitten in der Krise ein kleines Buch geschrieben. Mit sanften Worten kritisiert er Populismus und typische Eigenschaften der Österreicher. Insgesamt findet er aber keine Gründe, die Zukunft düster zu sehen.

Dass Bundespräsident Van der Bellen den früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs zu seinem Berater in  Verfassungsfragen gemacht hat, mag unter anderem daran liegen, dass Ludwig Adamovich über ein ähnlich ausgeglichenes Temperament wie er verfügt. Man kann sich gut vorstellen, wie unaufgeregt die beiden nicht mehr ganz jungen Herren die Dinge sehen. Die Erregungskurve bei Besprechungen selbst krasser Schnitzer der aktuellen Politik dürfte in der Hofburg ziemlich flach verlaufen. Hitzigere Charaktere hätten bei den Covid-Streichen von Kurz, Anschober & Co. sicher schon eingegriffen.

 

Eleganter Kammerton

 

So liest sich das Buch des ehemaligen Verfassungsgerichtshofpräsidenten Ludwig Adamovich wie ein intelligent-elegantes Selbstgespräch eines Mannes, der wilde Politikstürme souverän überstanden hat und Besseres zu tun weiß, als sich mit diesen alten Geschichten aufzuhalten. Sein Blick richtet sich energisch nach vorne, ob es um die Europäische Union oder um politische Utopie geht. Ja, richtig gelesen: Utopie. „Das Allerwichtigste für die Utopie eines globalen Bundesstaates ist also, dass wir uns nicht als Gegner betrachten, sondern als Partner, die sich dabei helfen, gemeinsame Ziele zu verwirklichen.“

 

Er verhehlt nicht, dass wir davon noch weit entfernt sind, da es noch ein langer Weg bis zu einem gemeinsamen Rechtsbegriff für Europa sei. Auch der Populismus in der EU (Stichworte Polen und Ungarn) macht ihm Sorgen.

 

Glückliches Österreich?

 

Beim Thema Populismus macht Adamovich einen längeren Stopp auch in Österreich. Was hier verwundert, das ist die Altersmilde, mit der er seinen ehemaligen Ober-Aggressor Jörg Haider davonkommen lässt. Während er diesem Empathie und Menschlichkeit nachsagt arbeitet er sich an Herbert Kickl länger ab, als es dieser wirklich verdient. Mit Akribie beschreibt er dessen gestörtes Verhältnis zur Verfassung und seine Umtriebe als Innenminister. Kickl, der seine guten Zeiten eher schon hinter sich hat, wird als echte Gefahr dämonisiert. Gleichzeitig vermisst man jegliche Kritik am amtierenden Bundeskanzler, der in Sachen Populismus dem FPÖ-Mann allemal deutlich zeigt, wo der Bartl den Most holt. Im Telefoninterview mit ANWALT AKTUELL merkt er allgemein-kritisch an: „Die Politiker neigen dazu, die Verfassung mit schiefem Blick anzuschauen, wenn sie irgendwie störend wirkt.“ Das sei aber mittlerweile besser geworden.

 

Desinteressierte Demokraten

 

Neben Populismus und Verfassungsignoranz sieht Ludwig Adamovich nur geringe Ambition zur Demokratie bei Österreichs Bürgern. „Man gewinnt den Eindruck, dass die Demokratie der Bevölkerung kein allzu großes Anliegen ist. Demokratie setzt eine reife Bevölkerung voraus, die bereit ist, auch Opfer auf sich zu nehmen“ sagt er im persönlichen Gespräch. Dazu passt auch das Buchkapitel „Verantwortung und die Macht des Gewissens“. Hier beschäftigt sich der Autor – naheliegend – mit der Frage, wie wir aus der Coronakrise herauskommen. „Wenn wir eine bessere Welt schaffen wollen, braucht es nicht bloß gerechtete Institutionen, eine stärkere Demokratie und internationalen Zusammenhalt. Es braucht auch Mut, Vertrauen, Eigenverantwortung und die Stimme unseres persönlichen Gewissens.“ Wahrlich.

 

LUDWIG ADAMOVICH

 

Präsident des Verfassungsgerichts
1984 – 2002

Ludwig Adamovich


"Wo wir stehen"

 

Gebundene Ausgabe,
128 Seiten
ISBN: 978-3-99001-456-1
Verlag edition a