Ich hätte nicht den Eindruck, dass es ein Defizit in Sachen Fehlerkultur gibt“

 

 

 

 

FRAU AN DER SPITZE. Seit November 2023 leitet Margit Wachberger die Generalprokuratur am Obersten Gerichtshof. Im Gespräch mit ANWALT AKTUELL gibt sie Einblick in ihr Amtsverständnis, verteidigt sie die derzeitige Weisungsspitze und kann sich vorstellen, dass für künftige Postenbestellungen auch in der Staatsanwaltschaft Personalsenate gebildet werden könnten.

 Margit Wachberger                                                                                                                                                     

 

Anwalt Aktuell: Frau Generalprokuratorin, zuerst Gratulation zur Berufung in diese führende Justizposition. Sehen Sie Ihre Ernennung als ein Zeichen der weiblichen Gleichstellung oder mittlerweile schon als Ausdruck einer gewissen Normalität in unserem Rechtsstaat?

 

Margit Wachberger: Ich denke, das geht in Richtung Normalität. Gerade im staatsanwaltlichen Bereich gibt es schon eine große Zahl weiblicher Behördenleiterinnen. Es ist vielleicht Zufall, dass die Generalprokuratur erst jetzt ihre erste weibliche Leiterin bekommen hat.

 

Anwalt Aktuell: Mit welchem Selbstverständnis starten Sie nun Ihre Arbeit?

 

Margit Wachberger: Die Generalprokuratur hat im Gefüge der staatsanwaltlichen Behörden eine besondere Stellung. Gerade dieser Mix an Aufgaben, der ihr zukommt, zeichnet dieses Amt aus. Wir sind vielfach damit beschäftigt, unsere Aufgabe als staatsanwaltliche Behörde auf der Ebene des Obersten Gerichtshofes insofern wahrzunehmen, dass wir in alle Strafverfahren eingebunden sind, mit denen der OGH zu tun hat. Das sind vorzugsweise die Schöffen- und Geschworenengerichtsverfahren, in denen eine Verfahrenspartei eine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat. Hier machen wir dem Obersten Gerichtshof einen Entscheidungsvorschlag. Die zweite Schiene, wo wir mit dem OGH und seiner Rechtsprechung arbeiten ist jene der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Diese Aufgabe steht ausschließlich der Generalprokuratur zu. Allerdings kann jeder, so steht es im Gesetz, eine solche Beschwerde anregen. Solche Anregungen bekommen wir von Einzelpersonen oder Institutionen aus allen Ecken des Landes. Es sind vier- bis fünfhundert Fälle pro Jahr, die wir hier zu prüfen haben. In knapp 100 Fällen wird in der Folge dann eine – im Justizjargon genannt – „Wahrungsbeschwerde“ erhoben. Das ist ein großartiges Instrument und es liefert einen Beitrag letztlich auch zum Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit und Justiz sowie zum Frieden in einer Gesellschaft. Ein weiterer Aspekt, der nicht minder wichtig ist bei der Wahrungsbeschwerde ist der der Rechtsfortbildung. Mitunter stehen wir vor der Situation, dass es zu einem Thema noch keine bzw noch keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gibt. Hier ist es unsere Aufgabe, jeweils einen geeigneten Fall vor den OGH zu bringen und die mögliche Rechtssicht soweit aufzubereiten, dass möglichst alle wesentlichen Argumente für oder gegen eine Variante dargestellt werden. Mit solchen „strategischen“ Wahrungsbeschwerden wollen wir den Obersten Gerichtshof in die Lage bringen, eine Entscheidungs- und Orientierungshilfe für alle Instanzen und ähnliche Fälle zu liefern. 

 

Anwalt Aktuell: Peter Bußjäger, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht in Innsbruck, vermisst bei der Justiz eine Fehlerkultur. Macht die Justiz alles richtig?

 

Margit Wachberger: Es gibt insofern eine institutionalisierte Fehflerkultur, als wir sowohl bei den Gerichten, und wenn man so will der Art nach auch bei der Staatsanwaltschaft, einen Instanzenzug haben. In diesem System sollen Fehler aufgedeckt und korrigiert werden. Da gibt es unterschiedliche Instrumentarien. Die reichen am Ende des Tages beim Obersten Gerichtshof bis zu einem verstärkten Senat, wenn die Meinungen auseinanderliegen. Ich hätte nicht den Eindruck, dass es ein Defizit in Sachen Fehlerkultur gäbe. Im Gegenteil, gerade wir sind sehr erpicht darauf, dass Fehler, so sie denn passieren, auch ausgeglichen werden können.

 

Anwalt Aktuell: Wie ist Ihre Haltung zum Weisungsrecht der Justizministerin, des Justizministers? Haben Sie schon eine Meinung zu den diskutierten Ersatzmodellen – Einzelperson, Team?

 

Margit Wachberger: Zunächst möchte ich einmal sagen, dass wir im Moment ein gutes und transparentes System haben. Die Weisungsspitze bildet die Bundesministerin für Justiz. Sie bindet den Weisungsrat in jede Entscheidung ein, ob tatsächlich einer Staatsanwaltschaft eine Weisung erteilt werden soll. Der Weisungsrat ist ein Organ, dessen Mitglieder von Gesetzes wegen unabhängig gestellt sind. Jede Weisung muss schriftlich erfolgen und kommt zu den Akten und ist dort auch für die Verfahrensbeteiligten einsehbar. Darüber hinaus gibt es auch noch einen schriftlichen Bericht über jede erteilte Weisung an den Nationalrat und an den Bundesrat. Das ist ein gut funktionierendes System. Immer wieder wird von verschiedenster Seite die sogenannte Anscheinsproblematik kritisiert und unterstellt, dass es zu einer nicht ausschließlich sachlichen, sondern auch politischen Motivation einer Weisung kommen könnte. Wenn man schon ein funktionierendes System austauschen möchte ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man dieses nicht durch ein weniger gutes ersetzt. Ich fürchte, dass die Anscheinsproblematik kaum verringert oder gänzlich beseitigt werden kann, wenn man nur eine Person gegen eine andere austauscht. Der Vorschlag, dass die Weisungsspitze durch einen Dreiersenat gebildet werden soll, gefällt mir gut. Das sag ich auch deshalb, weil wir in der Justiz beste Erfahrung mit Senaten haben.

 

Anwalt Aktuell: Wie beurteilen Sie die Handy- und Datenträger- Durchsuchungs-Entscheidung des Verfassungsgerichts?

 

Margit Wachberger: Wir alle wissen, wie sehr das Smartphone die Kommunikation verändert hat. Die Benützung der verschiedensten Apps macht dieses Gerät zu einem Spiegel unseres Lebens. Da ist mehr drin, als man sich meist selbst noch erinnern kann. Natürlich ist es problematisch, wenn das irgendwer anderer in die Hand bekommt.

Es wird nach den Vorgaben des VfGH dringend notwendig sein, hier eine gute und dem Recht auf Privatleben Rechnung tragende Regelung zu finden, sprich: den Zugriff darauf einzuschränken. Unabdingbar ist, dass bei einem so tiefen Eingriff ins Privatleben eine richterliche Bewilligung vorgesehen ist. Wie ich höre geht die Bemühung auch dahin, die Durchsuchung auf bestimmte Sachbezüge und Zeiträume einzugrenzen. Meines Wissens hat die Lehre hier schon intensive Arbeit geleistet und auch gemeinsam mit Praktikern Reformvorschläge in Ansätzen vorgestellt. Da wird man gut darauf aufbauen können. Im Zuge des Begutachtungsverfahrens wird auch die Generalprokuratur mit dem Gesetzesentwurf befasst sein und diesen konstruktiv und kritisch prüfen. Für genauso wichtig halte ich es aber, dass auch den Strafverfolgungsbehörden Zugang zu sogenannter verschlüsselter Kommunikation verschafft wird. Da fehlt uns eine Regelung. Da haben wir ein VfGH-Erkenntnis aus dem Jahr 2019, wo eine damals bestehende Regelung, die dies möglich gemacht hätte, als zu weitgehend aufgehoben worden ist. Es gibt hier noch keine Nachfolgebestimmung.

 

Anwalt Aktuell: Es hat einige Wirbel um die Besetzung von Führungspositionen in der Justiz gegeben. Teilen Sie den Eindruck, dass hier manchmal Politik wichtiger ist als Befähigung fürs Amt?

 

Margit Wachberger: Ich glaube, wir haben in der Justiz ein sehr ausgereiftes System. Bei den Gerichten machen Personalsenate Entscheidungsvorschläge. Zuletzt wurde ein erst jüngst gesetzlich neu geschaffener, besonders großer Personalsenat eingesetzt, als es um die Position des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes ging. Wünschenswert wäre es, auch im staatsanwalt- lichen Bereich solche Personalsenate zu bilden. Da gab es auch schon Vorschläge und Vorarbeiten der Standesvertretung.

 

Frau Generalprokuratorin, danke für das Gespräch.