Antragsrechte der Zivilgesellschaft vor dem VfGH

REFORMVORSCHLÄGE. Im Rahmen des „Wiener Forums für Demokratie und Menschenrechte“ haben zwei junge Jurist:innen Ideen für die Ausweitung der Antragsrechte beim Verfassungsgerichtshof entwickelt.

Jedem Verfassungsstaat liegt die Grundidee der Beschränkung und Kodifizierung der Staatsgewalt zugrunde. Dies geschieht häufig durch eie Verfassung, welche die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger*innen schützt und das demokratische Regierungssystem wahrt. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit kann die Vorrangstellung der Verfassung absichern, In der Republik Österreich erfolgt die Ausübung der Verfassungsgerichtsbarkeit durch einen eigens dafür eingerichteten Verfassungsgerichtshof. Trotz seiner Effizienz und Unabhängigkeit gilt es nach stetigen Optimierungsmöglichkeiten des Höchstgerichts zu suchen. Diese Studie soll mit ihren Reformvorschlägen einen Beitrag dazu leisten und als Denkanstoß dienen.

 

Verfassungsgerichtsbarkeit

Grundsätzlich kann zwischen „konzentrierter“ und „diffuser“ Verfassungsgerichtsbarkeit unterschieden werden. Bei der konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit erkennt ein eigenes Verfassungsgericht über die Verfassungskonformität von Rechtsnormen. Bei der diffusen Verfassungsgerichtsbarkeit ist jedes ordentliche Gericht zu solchen Entscheidungen legitimiert. Die konzentrierte Verfassungsgerichtsbarkeit trägt in einem erhöhten Ausmaß zur Rechtssicherheit und vor allem Rechtseinheit bei. Jedoch besteht das Risiko der Überlastung und damit einhergehender Ineffizienz des Gerichts. Die diffuse Verfassungsgerichtsbarkeit stellt die einfachste Art und Weise dar, um die Verfassungskonformität von Rechtsakten einer Überprüfung zu unterziehen. Dies geht allerdings zu Lasten der Rechtssicherheit und Rechtseinheit. In der Praxis wird oft die konzentrierte Verfassungsgerichtsbarkeit mit Elementen der diffusen Verfassungsgerichtsbarkeit verbunden.

 

Antragsrecht

Ein direkter Zugang ermöglicht es den Antragsteller*innen, vom Höchstgericht eine Norm unmittelbar überprüfen zu lassen. Häufig wird hierbei die „direkte persönliche Betroffenheit“ der antragstellenden Person verlangt. Ein indirekter Zugang legitimiert staatliche Institutionen Anträge zu stellen. Oftmals fällt diese Recht den Gerichten, einer Ombudsstelle oder den nationalen Parlamenten zu. Ein Antragsrecht oder eine Antragspflicht der ordentlichen Gerichte ist ein typisches Charakteristikum der konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit. Es schafft eine effektive und qualitativ hochwertige Filterfunktion für potenziell verfassungswidrige Rechtsnormen. In manchen Staaten haben auch Interessenvertretungen und ausgewählte Nichtregierungsorganisationen ein Antragsrecht. Abhängig von der nationalen Ausgestaltung dieses Rechts besteht jedoch die Gefahr der Überlastung des Höchstgerichts oder des Missbrauchs des Rechts. Actio popularis, oder auch "Popularverfassungsbeschwerde", meint das Recht eines*r jeden, einen Antrag zur abstrakten ex-post Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsnorm zu stellen, ungeachtet direkter persönlicher Betroffenheit. Diese Anträge sollen dem öffentlichen Interesse dienen und basieren daher nicht auf einer individuellen Verletzung eines verfassungsmäßig garantierten Rechts. Während zur Aufhebung verfassungswidriger Normen gilt, besteht das Risiko der Überlastung der Gerichtshöfe oder deren Missbrauch. Des Weiteren bestehen verschiedene Formen von quasi actio popularis Anträgen, wobei beispielsweise bestimmte Teile der Bevölkerung antragsberechtigt sind oder vertreten werden können.

 

Österreichischer Verfassungsgerichtshof

Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) wurde als Nachfolgeorgan des Reichsgerichtes 1919 geschaffen. In seiner heutigen Form spielt er in der österreichischen Rechtspolitik eine gewichtige Rolle. Nach aktuell gültigem Recht sind unter anderem Gerichte, Streitparteien und unmittelbar von einem verfassungswidrigen Rechtsakt betroffene Personen legitimiert Gesetze, Verordnungen oder Staatsverträge und deren Wiederverlautbarung dem VfGH zur Überprüfung vorzulegen (Artikel 140, 139, 140a und 139a B-VG).

 

Vorschlag

Das Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte plädiert dafür, den Sozialpartnern und ausgewählten Interessenvertretungen in ihrem Wirkungsbereich die Möglichkeit zu eröffnen, Gesetze, Staatsverträge und Verordnungen ab dem Moment ihres Inkrafttretens vor dem VfGH anfechten zu können. Mit Verweisen in Artikel 139 und 140 B-VG auf, in einem Bundesgesetz registrierte, Interessenvertretungen kann die Lahmlegung des VfGH durch eine "Antragsflut" verhindert werden. Diese Form rechtlicher Partizipation wäre ein Zeichen an die Zivilgesellschaft, dass ihre Interessen und ihr Engagement für bestimmte Gruppen der Gesellschaft seitens der Politik ernst genommen werden und vor allem auch eine Stärkung der Rechte Betroffener sowie der Effizienz der verfassungsrechtlichen Kontrolle durch Höchstgerichte. Der rechtliche Widerhall, den die Zivilgesellschaft so in der Politik erreichen würde, kann zur Stärkung des Vertrauens in das österreichische Justizsystem beitragen.