Den Rechtsstaat in das digitale Zeitalter überführen

ÖRAK-Präsident Dr. Armenak Utudjian im Gespräch mit Anwalt Aktuell über die diesjährige Europäische Präsidentenkonferenz sowie über den Regelungsbedarf bei der Handysicherstellung und beim Verteidigerkostenersatz.

Anwalt Aktuell: Sehr geehrter Herr Präsident, nachdem bereits beim Anwaltstag 2023 das Thema der Künstlichen Intelligenz intensiv diskutiert wurde, wird sich nun auch die vom ÖRAK veranstaltete Europäische Präsidentenkonferenz der Rechtsanwaltsorganisationen unter dem Motto „Big data, fewer rights – Will AI change the rule of law forever?“ mit der digitalen Zukunft des Rechtsstaates beschäftigen. Welche Erwartungen haben Sie an die diesjährige Konferenz?

 

Armenak Utudjian: Der internationale Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die beruflich in teils ganz unterschiedlichen Rechtsordnungen zuhause sind, ist immer enorm gewinnbringend. Diese Begegnungen eröffnen einerseits neue Perspektiven auf vermeintlich Altbekanntes und geben andererseits wertvolle Impulse für Reformanliegen. Insbesondere der Bereich der Künstlichen Intelligenz macht nicht an nationalen Grenzen Halt, sondern wartet mit Herausforderungen und Chancen für den gesamten europäischen Rechtsraum auf. Ich freue mich, dass es uns auch in diesem Jahr gelungen ist, eine Reihe von Expertinnen und Experten als Vortragende für unsere Konferenz zu gewinnen und bin mir sicher, dass uns ihre Impulse und die Diskussion im Kreis der Kolleginnen und Kollegen voranbringen werden.

 

Anwalt Aktuell: Nicht nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart hat Spannendes zu bieten: Vor einigen Wochen hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die Sicherstellung von Datenträgern wie Mobiltelefonen ohne richterliche Genehmigung verfassungswidrig ist.

 

Armenak Utudjian: Das Erkenntnis des VfGH in dieser Sache ist ein ganz wichtiger Schritt zu mehr Rechtsstaatlichkeit in Österreich. Nicht umsonst haben wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte diesen Missstand schon lange angeprangert. Nun kommt es auf die konkrete Ausgestaltung einer verfassungskonformen Regelung von derartigen Sicherstellung an. Wir haben bereits im Jahr 2022 einen umfassenden Reformvorschlag ausgearbeitet und im Justizministerium eingereicht, der jederzeit umgesetzt werden kann.

 

Anwalt Aktuell: Was beinhaltet dieser Vorschlag?

 

Armenak Utudjian: Um den Rechtsstaat im Bereich der Sicherstellung von Datenträgern in das digitale Zeitalter überzuführen, bedarf es einer ganzen Reihe von Änderungen. Angefangen bei der richterlichen Bewilligung samt Begründung bis hin zur Schaffung der notwendigen Transparenz gegenüber Betroffenen. Außerdem darf eine derartige Sicherstellung nur ab einer Strafdrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe zulässig sein oder dann, wenn es sich um eine Straftat handelt, die mit dem Handy verübt wurde. Auch die sogenannten Zufallsfunde sollen künftig nur noch unter ganz bestimmten Umständen verwertet werden dürfen.

 

Anwalt Aktuell: Das sind sehr tiefgreifende Reformansätze.

 

Armenak Utudjian: Wir reden hier auch über sehr tiefgreifendes staatliches Handeln. Die bisherigen Regelungen zielten einst auf Gegenstände wie die Tatwaffe oder Notizbücher ab. Ein Smartphone ist aber weit mehr als das - es ist ein Sammelbecken hochgradig persönlicher Daten und höchst privater Informationen. Dementsprechend müssen sich künftig auch die Beschuldigtenrechte an diesen neuen Gegebenheiten orientieren.

 

Anwalt Aktuell: Apropos Beschuldigtenrechte. Zuletzt haben Sie berichtet, dass im Justizbudget nunmehr 70 Millionen Euro jährlich für den sogenannten Verteidigerkostenersatz vorgesehen sind. Wann ist mit einer Neuregelung dieses Verteidigerkostenersatzes in der Strafprozessordnung zu rechnen?

 

Armenak Utudjian: Es ist sehr erfreulich, dass es gelungen ist, die bisherigen Budgetmittel um das Dreißigfache zu erhöhen. Für einen vollen Kostenersatz werden aber auch 70 Millionen leider bei weitem nicht ausreichen. Es wird daher notwendig sein, die zur Verfügung stehende Mittel bestmöglich zu verteilen, da ja erfreulicherweise künftig auch bei Einstellungen in Ermittlungsverfahren ein Beitrag zu den Verteidigungskosten vorgesehen sein soll. Wir konnten unsere Vorschläge für eine sachgerechte Lösung dem Justizministerium unterbreiten und werden weiterhin darauf drängen, dass es zeitnah zu einer Umsetzung kommt.