Nachwuchs im Umbruch

MEHR KÜR ALS PFLICHT? Die Nachwuchs-Diskussion hat den Anwaltsstand erreicht. Zwar drängen noch reichlich Studienabsolvent:innen in die Kanzleien, doch bleiben viele nicht die vorgesehenen fünf Jahre. Wohin verschwinden die Talente der Zukunft? Vor allem aber: Warum? Ist es nur die „Work-Life-Balance“, die das traditionelle Ausbildungsmuster ins Wanken bringt?

Er ist gerade 40 geworden und designierter Nachfolger einer erfolgreichen Kanzlei. Seit seine Tochter geboren wurde quält ihn immer öfter die Frage, was wichtiger ist: die 80-Stunden-Woche in der Zentrale der Law-Firm oder das Wochenende mit seiner Tochter am Wohnort in der Provinz. Er entschließt sich für ein Zurückstecken im Beruf, verlässt die Zentrale und übersiedelt zur Familie.

Dieses Beispiel aus der Realität steht für einen Gesinnungswandel, der einen Großteil der nachrückenden Jurist:innengenerationen definiert. Zitat aus einer ÖRAK in Auftrag gegebener Studie zum Thema "Attraktivität des Rechtsanwaltsberufs“, präsentiert bei einem Workshop des Anwaltstages 2023 in Linz (Österreichisches Anwältinnenblatt 01/2024): "Die bisher stark kapitalistisch geprägten Vorstellungen von Erfolg und Karriere, zu denen auch die Höhe des Einkommens und frühere Statussymbole gehören, verlieren an Bedeutung…Status und Erfolg scheinen sich zunehmend aus Aspekten wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Flexibilität und Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit abzuleiten.“

 

Bald Ende der „Work-Life-Party“?

Dr. Alexander Scheuwimmer, Präsident des Österreichischen Juristenverbands, prophezeit auf den Seiten 22 und 23 dieses Heftes des herannahende Ende dieses Trends: „Noch fühlt sich manches Vorstellungsgespräch so an, als würde sich der Anwalt bei Konzipienten bewerben. Schon bald könnte sich das Blatt wenden und der Rechtsanwaltsanwärter in spe muss vielleicht seinen Mehrwert gegenüber Lexis360 oder Genjus darstellen. Mit wenig Berufserfahrung (oder wenig Arbeitswillen) wird das zunehmend schwierig werden." Gegenrede aus der oben genannten Studie: "Aus Sicht der Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärter wenig Sinn, sich regelmäßig derart zu verausgaben, zumal sie als Angestellte mit All-in-Gehalt - anders als Selbstständige - nicht unmittelbar von den erbrachten Leistungsspitzen profitieren können. Außerdem scheinen viele der nachwachsenden Generation nicht mehr bereit zu sein, die psychischen Belastungen, welche mit solchen Leistungsspitzen einhergehen können, als zu ertragende Begleiterscheinung iherer Ausbildung in Kauf zu nehmen."

Dr. Alexander Scheuwimmer: "Es lässt sich nicht vorhersagen, wie lange ein System aufrechterhalten werden kann, in dem die Leute immer länger theoretische Ausbildungen absolvieren, immer länger Pension beziehen…und in der kurzen Zeit dazwischen ebenfalls immer weniger arbeiten wollen.“ Wie man sieht, prallen hier Weltbilder gegeneinander, die konträrer kaum sein könnten.

 

Perspektiven-Krise

Ist diese Auseinandersetzung einmal geklärt erscheint ein weiteres Problemfeld: Ungewisse Perspektiven.

Nach Absolvierung der fünf Jahre in der Rechtsanwaltsanwärter:innen-Ausbildung stellt sich der Nachwuchs der Berufsprüfung, die es bekanntlich in sich hat. Sind die letzten Schweißperlen dieses Tribunals von der Stirne gewischt und der Kanzleialltag ins Land gezogen lautet die nächste Frage: Wie geht es weiter mit meiner Karriere?

Wie viele Kanzleien offerieren strukturierte Karriere-Pläne? Oder ist es nicht allzu oft so, dass nach jahrelangem, überdurchschnittlichem Einsatz für die Kanzlei die Einladung, Partner oder Partnerin zu werden, immer noch nicht daherkommt?

Zusatzfrage: Wie geht es weiter mit dem Berufsstand? Wie verändern sich Markt- und Konkurrenzbedingungen durch Künstliche Intelligent? Wie hoch ist der Aufwand für eine (neue)) notwendige Spezialisierung?

 

Reizvolle Alternativen

Wenn auch die Bereitschaft des Nachwuchses, sich für den Beruf zu quälen, speziell von der gereifteren Kolleginnen- und Kollegenschaft angezweifelt wird, fiele es dieser niemals ein, die Cleverness des Nachwuchses zu unterschätzen.

In der Tat sind die Jungen äußerst ausgeschlafen, wenn es um Alternativen geht, DAs Berufsbild der Unternehmerjuristin und des Unternehmerjuristen gewinnt ebenso an Attraktivität wie auch diverse juristischen Tätigkeiten in der Verwaltung. Beispielhaft die Aussage der neune BWB-Chefin Natalie Harsdorf-Borsch: "Es mag daran liegen, dass die Bewerberinnen und Bewerber die Arbeit unserer Behörde positiv wahrnehmen und für sich eine vor allem inhaltlich lohnende Aufgabe sehen. (siehe Inserat: "Politisch geht es manchmal darum, Pfründe zu schützen"

Eines ist sicher: Der Nachwuchs selbst hat es in der Hand, ob er sich für Pflicht oder Kür entscheidet. Und das ist gut so.

Bald leere Bänke in der anwaltlichen Nachwuchs-Schule?

Im Spannungsfeld zwischen Leistungsdruck und „Work-Life-Balance“ macht sich

eine neue Generation von Juristinnen und Juristen auf den Weg in den Beruf.