„Politisch geht es manchmal darum, Pfründe zu schützen“

FAIRNESS IM WETTBEWERB. Seit 1. November 2023 ist Natalie Harsdorf-Borsch neue Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde. Zwei Jahre lang hatte sie die BWB interimistisch geleitet, bis die schwarz-grüne Koalition ihre Blockadehaltung zur Besetzung dieser wichtigen Behördenleitung aufgab. 

Die neue Generaldirektorin wirkt spürbar erleichtert nach den vielen Monaten ihrer persönlichen beruflichen Ungewissheit. Die Kraft, dies alles durchzuhalten, habe ihr das Wissen um die Notwendigkeit der Aufgabe gegeben. Eine Kraft, die groß genug war, die Zahl der Anträge an das Kartellgericht im (Interims-)Jahr 2023 um 130 Prozent zu steigern, auf den höchsten Wert in der BWB-Geschichte.

 

Anwalt Aktuell: Was sind die größten Themenbereiche, mit denen sich die Bundeswettbewerbsbehörde aktuell befasst?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Die Kartellverfahren laufen auf Hochdruck, die Zahl der Kronzeugen ist nicht zurückgegangen, wir ermitteln parallel in einer Vielzahl von Fällen. Einige der bekannteren sind bereits beim Kartellgericht, zum Beispiel das Baukartell. Dies bleibt einer unserer Tätigkeitsschwerpunkte, weil diese Praktiken besonders schädlich für unsere Volkswirtschaft sind. Daneben beschäftigen wir uns stark mit Marktmachtmissbrauch. Wir haben einen Bußgeldantrag gegen einen großen Kfz-Hersteller ans Kartellgericht gebracht. Einen Gerichtsentscheid erwarten wir hier im Laufe des Jahres. Für dieses Jahr sind in diesem Bereich weitere Verfahren in der Pipeline.

 

Anwalt Aktuell: Sie haben sich zuletzt auch stark mit dem Lebensmittelmarkt beschäftigt. Was gab es da zu beanstanden?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Die BWB hat den Lebensmittelsektor immer stark im Blick. Die letztes Jahr abgeschlossene Untersuchung hat ein paar sehr interessante Ergebnisse gebracht. Bei der Befragung von 1.500 Lieferanten haben vier von zehn angegeben, sich von sogenannten „schwarzen Klauseln“ betroffen zu sehen, kurz gesagt: von unfairen Handelspraktiken. Wir werden die Verfolgung dieser Praktiken priorisieren. Anträge ans Kartellgericht wurden bereits übermittelt und erste Verfahren eingeleitet. Damit wird es in diesem Jahr bereits Entscheidungen zu dem recht jungen Fairen-Wettbewerbs-Gesetz geben.

 

Anwalt Aktuell: Das heißt, die BWB wird wahrgenommen, es wird reagiert, wenn Sie Ergebnisse präsentieren?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Diesen Eindruck hab ich ganz stark. Gleichzeitig wird auch respektiert, dass wir ganz sachlich Daten und Fakten einholen. Anders als in anderen Bereichen gibt es bei uns ja keine Zielvorgaben. unsere Aufgabe ist die Wahrheitsfindung.

Mittlerweile respektieren Politik und Öffentlichkeit, dass Ergebnisse herauskommen, die so nicht erwartet worden sind. Unter anderem, dass der Lebensmittelhandel auf dem Rücken der Inflation seine Gewinne erhöht hat. Das hat schlicht nicht stattgefunden.

 

Anwalt Aktuell: In Österreich gibt es eine ganze Menge von Schutzzonen, die nicht wirklich nach Wettbewerb ausschauen – ich denke etwa an Apotheken, Rauchfangkehrer oder Bestatter. Haben Sie solche Bereiche im Visier?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Ich halte es für wichtig, dass die Bundeswettbewerbsbehörde eine wichtige Stimme für den Wettbewerb auch im legistischen Prozess hat, wenn wir aufzeigen, wo Regulierung zu weit geht und die Marktkonkurrenz beschränkt, um damit andersgeartete politische Ziele zu erreichen. Nicht selten geht es hier darum, Pfründe zu schützen und den Wettbewerb draußen zu halten. Es gibt international bemerkenswerte Vorbilder: Präsident Biden hat am Beginn seiner Amtszeit eine exekutive order erlassen, dass jede Art von Gesetzgebung auf Bundesebene überprüft werden muss, welche Auswirkungen sie auf den Wettbewerb hat.

In Österreich können wir als BWB Ähnliches leisten, weil wir die Möglichkeit haben, Stellungnahmen zu Gesetzen abzugeben.

 

Anwalt Aktuell: Sie haben kürzlich gesagt: „Wettbewerb ist Freiheit“. Das werden viele, die Sie zum Kartellgericht bringen, nicht so sehen…?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Im Prinzip wünscht sich jeder einen fairen Wettbewerb. Wenn man dann selbst im Wettbewerb bestehen muss, kann das sehr anstrengend sein, bisweilen auch unangenehm. Dann wünscht man sich vielleicht manchmal insgeheim einen Wettbewerbsvorteil, auch wenn es ein unfairer ist.

 

Anwalt Aktuell: Sie haben die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf fast 70 erhöhen können. Wie gelingt so etwas in einer Zeit, da Kanzleien und Justiz händeringend Nachwuchs suchen?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Es mag daran liegen, dass die Bewerberinnen und Bewerber die Arbeit unserer Behörde positiv wahrnehmen und für sich eine vor allem inhaltlich lohnende Aufgabe sehen.