Hurrikan Ian und Asyl

Zwei Krisen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zeigen die tiefen Gräben innerhalb der politischen Landschaft in den U.S.A. auf.

 

STEPHEN M. HARNIK

Die U.S.A. sind für viele Menschen als „the land of the free“ und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten freiwillig angestrebtes Ziel, für andere letzter Ausweg nach langer Flucht und erster sicherer Boden, auf dem sie sich befinden. Besonders letztere finden sich oft mit unüberwindbaren bürokratischen Hürden in einem für sie undurchsichtigen Dschungel von Asyl- und Einwanderungsregeln konfrontiert.

Eine Möglichkeit, dieser tiefgreifenden Chancenungleichheit entgegenzuwirken wäre es, diesen Menschen einen für sie kostenlosen Rechtsanwalt zur Seite zu stellen, wenn dies notwendig ist. Genau an einem derartigen Gesetz arbeitet der Bundesstaat New York momentan. Dieses Gesetz soll jedem in New York lebenden Menschen, der von Abschiebung bedroht ist, eine rechtliche Vertretung durch einen Anwalt/eine Anwältin ermöglichen – auch neu ankommenden Asylsuchenden. Dies sei kein Luxus, wie von vielen Kritikern argumentiert, sondern eine Entscheidung über Leben und Tod, heißt es aus Regierungskreisen. New York wäre der erste Bundesstaat, der ein derartiges Gesetz einführen würde. Hierbei wäre auch der „due process“, der ein faires und gleiches Verfahren für sämtliche in New York lebenden Menschen in Bezug auf Asylverfahren garantiert – eine verfassungsrechtliche Garantie, die im Rahmen der restriktiven Einwanderungspolitik von Ex-Präsident Trump in Bezug auf Migranten gerne vergessen wurde. Aktuelle Studien belegen, dass Menschen, die sich während des Verfahrens in einem Anhaltezentrum befinden und denen ein Anwalt zur Seite gestellt wird, eine 10-fach höhere Chance haben, eine positive Asylentscheidung zu erhalten. Bei der Gruppe der nicht angehaltenen Asylwerber enden 60% der Verfahren positiv wenn sie anwaltlich vertreten sind, wenn nicht liegt, diese Quote im krassen Gegensatz dazu bei lediglich 17%.

 

Asylsuchende am Weg nach New York

New York reagiert damit auf eine Welle von Asylsuchenden, welche sich momentan in Bussen von Texas, Florida und Arizona am Weg nach New York befinden. Republikanische Gouverneure protestieren gegen das – nach deren Ansicht – staatliche Versagen, die Grenzen zu Mittelamerika im Süden der USA zu schützen, indem sie Migranten aus republikanischen Staaten in liberale, demokratische Staaten weiterschicken. Jüngstes Beispiel hierfür ist die medienwirksame Verlegung von Migranten – die meisten davon aus Venezuela – per Flugzeug aus Texas nach Martha’s Vineyard, einer sehr bekannten und beliebten Ferieninsel vor der Küste von Massachusetts. Federführend für diese Aktion ist der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis. Dieser hat, wie auch andere Gouverneure in republikanisch geführten Bundesstaaten, einen neuen Aktionsplan aufgestellt. In dem letzten Budget des Bundesstaates wurden USD 12 Mio. für den Transport von illegalen Migranten aus Florida in andere Bundesstaaten budgetiert. DeSantis wird als potenzieller republikanischer Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2024 gehandelt und gilt als Hardliner innerhalb der republikanischen Partei, der das politische Erbe Trumps fortführen würde.

 

Hardliner DeSantis

Sein Vorgehen hat innerhalb der demokratischen Kreise der USA für Aufruhr gesorgt. In Martha’s Vineyard, welches komplett unvorbereitet von der Anreise der Asylsuchenden getroffen wurde, wurden diese, zunächst von NGOs versorgt, was aber natürlich als Dauerlösung inakzeptabel ist. Die Asylsuchenden selbst wurden zuvor nicht nur über das Ziel ihrer Reise getäuscht, sondern auch über die Möglichkeiten wie Hilfe mit dem Asylverfahren sowie Jobaussichten am Zielort. DeSantis hingegen sieht bei sich keinerlei Fehler. Sämtliche Migranten (welche großteils natürlich kaum ausreichend Englisch sprechen), hätten als Vorbereitung einen Essensgutschein, eine Karte der USA und eine Karte von Martha’s Vineyard erhalten – dies wäre seiner Ansicht nach ausreichend Starthilfe gewesen. Der von DeSantis geschmiedete Aktionsplan ist seinem Wortlaut nach räumlich beschränkt auf den Bundesstaat Florida.

Der Wortlaut des Budgets 2022 stellt klar, dass vor einer Verwendung des Geldes ein Programm für den Transport von illegalen Migranten (unauthorized aliens) aus Florida unter Einhaltung sämtlicher Bundesgesetze implementiert werden muss. Weder wurde ein derartiges Programm implementiert, noch wurde das Geld für Flüge aus Florida verwendet. Eine Verwendung des Budgets für Zwecke außerhalb von Florida ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Senator Jason Pizzo, ein demokratischer Senator in Florida, übt scharfe Kritik: „Sie (die Republikaner um DeSantis, Anm.) haben das Gesetz geschrieben, sie haben die Spielregeln festgelegt, und nun sind es sie, die gegen die Regeln verstoßen“, wird er in der New York Times zitiert. Pizzo hat aufgrund der Gesetzesverstöße mittlerweile – in seiner Funktion als Privatperson – Klage gegen DeSantis erhoben. Dies einerseits, um weitere Ausgaben des Staates Florida für derartige Flüge zu verhindern und andererseits, um den gesamten Budgetpunkt für verfassungswidrig erklären zu lassen. Darüber hinaus wurde von einer Gruppe betroffener Migranten selbst eine Sammelklage in Massachusetts eingereicht, nachdem durch den Transport unter Vortäuschung falscher Tatsachen Bundesrecht verletzt worden sein könnte. Das Verfahren wird auf das 4. und 14. Amendment zur US-Verfassung gestützt. Hierbei wird insbesondere die Frage entscheidend sein, ob die Migranten den Flug schlussendlich freiwillig angetreten sind, oder ob sie genötigt wurden – in diesem Fall könnten Bestimmungen gegen Kidnapping und Menschenhandel verletzt worden sein. Sollten diese Feststellungen von dem zuständigen Gericht getroffen werden, stehen die Chancen für eine Entscheidung zu Gunsten der Migranten gut.

 

Hurrikan Ian als Politikum

DeSantis, der auch abseits der Einwanderungspolitik öffentlich wenig gute Worte für den demokratischen Präsidenten Joe Biden und dessen Führungsstil findet, hat nun allerdings ein weiteres Problem: In der Woche vom 26. September 2022 traf Hurrikan Ian in Florida auf Land. Große Teile des Bundesstaates waren vom bisher stärksten Hurrikan in dessen Geschichte getroffen, die Schäden und Verwüstungen sind enorm. Selbstständig kann der Bundesstaat Florida die Kosten für die Katastrophenhilfe sowie den Wiederaufbau nämlich nicht stemmen. DeSantis hat sich 2013, als Hurrikan Sandy New York verwüstet hat, noch öffentlich gegen staatliche Hilfen (federal aids) für die Betroffenen ausgesprochen. Sein damaliger Standpunkt war klar: Er habe Verständnis für die Opfer und deren Bedürfnisse, dass diese allerdings staatliche Hilfen erhalten sollten, sei keine Option. Ironischerweise muss er nun selbst bei der Bundesregierung um Hilfe ansuchen. In einem Interview bestätigte DeSantis, dass er bei Präsident Biden um volle staatliche Entschädigung des Bundesstaates Florida durch eine Vorauszahlung der in den nächsten 60 Tagen erwarteten Kosten angesucht hat und diesen auffordere, „das Richtige zu tun“. Des Weiteren sei er der Auffassung, dass, wenn Menschen um ihr Leben kämpfen, wenn deren Existenz auf dem Spiel steht und sie alles verloren haben, politische Differenzen bei Seite gelegt werden sollten – denn wenn nicht einmal in einer derartigen Situation über Parteigrenzen hinweg geschlossen gehandelt wird, dann wären politische Kompromisse wohl auch in anderen Situationen ausgeschlossen.

An diesen Beispielen zeigen sich allerdings, auch kurz vor den Mid-Term-Elections und demnach nach knapp der Hälfte der Amtszeit von Präsident Biden weiterhin die Nachwirkungen der Ära Trump und die nach wie vor radikale Gesinnung seiner Anhänger. Allerdings sind eben doch alle final gleich, wenn es um lebensbedrohliche Situationen geht – ob es im Rahmen einer Flucht oder nach einer Naturkatastrophe ist. Dass dies im politischen Alltag gerne je nach den eigenen Interessen unterschiedlich ausgelegt wird, zeigt sich momentan wieder einmal deutlich. Hinsichtlich des Zugangs zu Rechtsberatung bleibt demnach zu hoffen, dass weitere Bundesstaaten der USA dem Beispiel New Yorks folgen und ein derartiges Rechtsberatungssystem entwickeln. Damit jene, deren Ausgangslage tatsächlich mehr als ungleich ist, eine Möglichkeit auf Chancengleichheit zumindest vor Gericht bekommen und due process nicht nur eine Verfassungsbestimmung, sondern gelebte Realität wird.

 

Ich möchte mich sehr herzlich bei meiner neuen associate Cathrine Bondi de Antoni für ihre Mithilfe bedanken.