„Eine Demokratie ohne Bürger-Engagement ist nicht lebensfähig“

POLITIK. Der renommierte Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat mit seinem neuesten Buch „Die Zukunft der Demokratie“ eine schmerzhafte Analyse des Unterganges dieser Staatsform geliefert. Er stellt klare Bedingungen für das Überleben der Demokratie.

Bereits im Vorwort lässt Herfried Münkler (Jahrgang 1951) die zwei größten Gefahren für die Demokratie erkennen: Gleichgültigkeit und Feindseligkeit. Seit den 1990-er-Jahren, als diese Staatsform noch mit einer gewissen Begeisterung gepflegt wurde, bemerkt der Autor eine zunehmende Erosion der Demokratie. Dazu kommt die seit Februar von Russland veranstaltete kriegerische Aggression sowie die Verhaltensweisen Chinas, die partnerschaftlich offene und vertrauensvolle Beziehungen massiv bedrohen. Beide von außen kommenden Gefahren sind seiner Meinung nach ein Ergebnis innerer Gleichgültigkeit der westlichen Demokratien. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs entwickelte sich ein zunehmendes Desinteresse an den Plänen der russischen und chinesischen Diktaturen. Man war miteinander „im Geschäft“, woher sollte da noch eine Bedrohung kommen. Mittlerweile sind wir auf schmerzhafte Weise schlauer geworden.

 

Demokratie-Theorien

Münkler vergleicht mehrere philosophische und politikwissenschaftliche Theorien zur Demokratie. In „Das Ende der Geschichte“ beschwört Francis Fukujama die liberale Demokratie als Endpunkt der politischen Entwicklung. Nach dem Ende der großen Systemkonflikte zwischen Kommunismus und Kapitalismus seien wir quasi bei unserer politischen Bestimmung angelangt.

Wesentlich differenzierter betrachtet Samuel Huntington in „Kampf der Kulturen“ die Entwicklung der politischen Systeme unter besonderer Berücksichtigung der Demokratie.

Sein „Kreislaufmodell“ verneint einen Idealzustand und empfiehlt, sich gut festzuhalten bei den Turbulenzen, die der ständige Vorteilswechsel der Systeme mit sich bringt.

Als schärfste Beobachter der aktuellsten Demokratie-Entwicklung präsentiert Herfried Münkler die beiden britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch und David Runciman:

„Ist für Crouch ein ausufernder Lobbyismus der großen Konzerne das Kennzeichen der Postdemokratie, so setzen in Runcimans Darstellung die neuen Netzwerke (Google, Apple, Amazon) mit ihrer Politik der Beeinflussung nicht wesentlich oben, bei den politischen Eliten an, sondern bei den breiten Massen, deren Vorstellungen und Wünsche sie manipulieren. Auf diese Weise tritt das, was im Interesse der Netzwerkbosse liegt, als demokratischer Wille auf, und es kommt gar nicht mehr zur Konfrontation zwischen dem Willen von ‚big business‘ und dem Wollen der breiten Bevölkerung.“

 

Information und Gewaltenteilung

Der bei Donald Trump so beliebte Begriff der „fake news“ ist zur Prüfinstanz der zeitgenössischen Demokratie geworden. Bewusste Irreführung, Putins „Trolle“ und populistisches Geschwätz vernebeln die Atemluft der demokratischen Bevölkerung.

Manipulation und deren ständiger Verdacht bedrohen jeden sachlichen demokratischen Dialog. Als letzte Sicherungsinstanz der Demokratie in Zeiten der ungewissen Informationslage sieht Münkler noch die Gewaltenteilung. Diese habe, wie sich gerade zeigt, im Finale der Trump-Jahre ihre Verlässlichkeit bewiesen. Dass die Staatsform der Demokratie allerdings weltweit im Schwinden sei lege nahe, dass es immer öfter zur Bedrohung bzw. Grenzaufweichung zwischen Legislative, Exekutive und Justiz komme.

 

Beim Bürger liegt’s

Wolle die Demokratie noch eine Zukunft haben, dann müsse sie in eine neue Form der stärkeren Bürgerbeteiligung übergeführt werden, sowohl was die Teilnahme an Entscheidungsprozessen wie auch die Kontrolle der Politik betrifft. Münkler empfiehlt, ganz unten anzufangen: „die Kommunalpolitik könnte so zum Experimentierfeld werden, auf dem die Chancen und Möglichkeiten einer zukünftigen Demokratie ausgelotet und durchprobiert werden.“

Man lernt einiges und man schöpft Ermunterung in diesem Buch, das der Brandstätter-Verlag handlich, apart und lesefreundlich gestaltet hat.