Die "Sideletter"-Republik

SPITZENPOSITIONEN. Während Führungs-Jobs in der Wirtschaft nach strukturierten und harter Auswahlprozessen besetzt werden genügt es in Österreich, auf dem richtigen „Sideletter“ zu stehen. Gerade sind einige Kandidaten für Führungspositionen in der Justiz dabei, Begünstigte oder Opfer politischer Absprachen zu werden.

Bewerben Sie sich noch oder stehen Sie bereits auf einem Sideletter?“, ist der österreichische Slogan für die Besetzung von Spitzenpositionen. Wer in dieser Republik etwas werden will sollte früh genug in den Parteisekretariaten der ÖVP oder der Grünen vorbeigeschaut und dort seine Bewerbungsunterlagen abgegeben haben.

„So sind wir nicht“ war eines der großen Worte unseres Bundespräsidenten. Er sprach sie, nachdem er das legendäre „Ibiza“-Video gesehen hatte. Man darf ihm zugutehalten, dass er sich und den Großteil der österreichischen Bevölkerung von dem freisprechen wollte, was man da sah und hörte. Er sollte aber lange genug in der (österreichischen) Politik sein, um zu wissen: „So sind wir!“ Denn es waren seine grünen Parteifreunde, die gemeinsam mit Sebastian Kurz wichtige Jobs dieser Republik durch sogenannte „Sideletter“ bereits vergaben, längst bevor sie ausgeschrieben wurden.

 

Vakanz BVwG

Momentan werden wir gerade Zeugen irritierender Vorgänge rund um das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Mit 1. Dezember verabschiedete sich Präsident Perl in die Pension. Zu diesem Zeitpunkt war gerade einmal eine Berufungskommission zur Regelung seiner Nachfolge bestellt. Kein einziges Hearing hat stattgefunden.

Es wird gemauschelt, dass es einen Sideletter mit schwarzer Priorität gibt. Mehr ist nicht bekannt. Üblicherweise ist mit mindestens sechs Anhörungsrunden für Kandidatinnen und Kandidaten zu rechnen. Neubesetzung also bestenfalls irgendwann im Frühjahr.

Wir sprechen hier aber nicht vom Bezirksgericht Thalgau, sondern von Österreichs größtem Gericht.

 

Vakanz BWB

Es trifft sich hübsch, dass BVwG-Vizepräsident Sachs sich seit Monaten bemüht, Chef der Bundeswettbewerbsbehörde zu werden. Wenn’s für ihn gut und für das BVwG schlecht läuft sitzt er demnächst in der Dampfschiffgasse und das Bundesverwaltungsgericht ist noch führungsloser als oben beschrieben.

Apropos BWB: Es ist ein Lehrbeispiel politischer Brachialität, wie die ÖVP gerade versucht, ihren Kandidaten Sachs in die Bundeswettbewerbsbehörde hineinzupressen. Trotz der Tatsache, dass die interimistische Leiterin Natalie Harsdorf-Borsch eine Fachfrau von höchster Qualität ist, beharrt die ÖVP auf der Personalie Sachs. Eine seltsame Rolle in diesem Spiel bekleidet Wirtschaftsminister Kocher. Er hätte die Leitung der BWB „unverzüglich“ besetzen müssen, jedenfalls spätestens nach sechs Monaten. Diese gehen gerade zu Ende. Auf die Frage der ORF-Redakteurin im „Report“ „Und warum wird die derzeitige provisorische Leiterin nicht definitiv bestellt?“ antwortete Kocher: „Es liegt nicht mehr in meinen Händen.“ Frage: In wessen Händen dann? Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Kocher offensichtlich in Österreich keinen Gutachter auftreiben konnte, der die fachliche Qualifikation des Bewerbers Sachs bestätigt hätte. Der Wirtschaftsminister wurde lediglich im fernen Köln fündig, wo ein mit Wettbewerbsrecht am Rande beschäftigter Professor den Eignungsnachweis für Sachs ausstellte.

 

ORF, FMA etc.

Wie gut die schamlosen Eingriffe in Postenbesetzungen durch die Politik funktionieren zeigt sich gerade beim ORF. Nicht nur, dass verheerende Chat-Verläufe eines (mittlerweile zurückgetretenen) Chefredakteurs und eines Stiftungsratsvorsitzenden bekannt geworden sind, sondern auch die Tatsache, dass ein sichtlich überforderter Generaldirektor ein Jahresminus von 130 Millionen Euro bekannt gibt sind Tatsachen, die aufwecken müssten.

Ist der Sideletter-Generaldirektor der Richtige? Kann es mit einem Stiftungsrat als Kontrollgremium so weitergehen wie bisher? Haben die Stiftungsräte lieber in ihre Parteibücher als in die Finanzbücher des ORF geschaut?

Nächste Frage: FMA. Auch dort gibt es angeblich einen Sideletter zur Nachfolgeregelung des „linken“ Vorstandes Ettl durch einen grünen Kandidaten.

Sollte die derzeitige Regierung auch nur ein marginales Interesse daran haben, die Politik insgesamt aus ihrer aktuellen Vertrauens­krise herauszuführen wäre es höchste Zeit, die Sideletter zu entsorgen und stattdessen transparente Postenbesetzungen zu ermöglichen.