Gesucht?

Seit dem 24. Februar führt Wladimir Putin einen Krieg gegen die Ukraine. Abgesehen vom unfassbaren menschlichen Leid und den gewaltigen wirtschaftlichen Schäden stellt sich die Frage nach einem internationalen Haftbefehl.

Viele markige Worte werden seit Ausbruch des Krieges in den Mund genommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dringt kürzlich auf zweifache Abrechnung: „Erstens muss Russland für seine schrecklichen Verbrechen bezahlen, das Verbrechen des Angriffskrieges gegen einen souveränen Staat eingeschlossen, zweitens muss Russland auch finanziell für die Verwüstung bezahlen, die es verursacht hat.“

Als „Faustpfand“ sieht die EU sowohl 300 Milliarden an blockiertem Vermögen der russischen Zentralbank wie auch 19 Milliarden Vermögen russischer Oligarchen, die bisher eingefroren wurden. Diese Gelder könnten investiert und deren Ertrag an die Ukraine überwiesen werden.

 

Rechtliche Probleme

So gut der EU-Vorschlag auf den ersten Blick wirkt, so schwierig dürfte seine Umsetzung sein. Brüsseler Rechtsexperten weisen nämlich darauf hin, dass Zentralbankvermögen „gemeinhin als von der staatlichen Immunität gedeckt“ gilt. Was die Oligarchen-Vermögen betrifft, könne eine entsprechende Verwertung nur dann stattfinden, wenn eine „Verbindung zu kriminellen Aktivitäten“ nachweisbar sei. Dass die Damen und Herren Milliardäre mit Putin gut bekannt seien, genüge als Beweismittel nicht.

 

Lange Liste an Kriegsverbrechen

Mit welcher Brutalität Putin und seine Armee gegen die Ukraine vorgehen, machte erstmals erschreckend das Massaker in Butscha im Nordwesten Kiews deutlich. Dutzende von Zivilisten wurden kaltblütig ermordet. Vergewaltigungen, willkürliche Erschießungen, Misshandlungen und Deportationen in sogenannte Filtrationscamps gehören zur täglichen Praxis der russischen Aggressoren. Mehrere Zehntausend Kriegsverbrechen sind bereits über Facebook-Posts, Handyvideos und Satellitenbilder dokumentiert. Die ukrainische Generalstaatsanwältin ermittelt und sammelt im ganzen Land Beweise.

Iryna Wenediktowa: „Wir haben angefangen, Leute anzuklagen. Sie ermordeten Zivilisten, sie bombten zivile Infrastruktur, Wohnhäuser, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, sie vergewaltigten ukrainische Menschen, sie plünderten.“

Einzeltäter?

Die Frage ist nun, bei wem die Verantwortung für die täglich stattfindenden Kriegsverbrechen liegt. Der deutsche Jurist Wolfgang Schomburg war 2001 – 2008 Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Aufgrund seiner Erfahrung mit Massakern beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien meinte er im RBB-Fernsehen: „Aus dem einen Fall werden mehrere werden und aus den mehreren Fällen wird man dann auch langsam herausfinden, wer sind die höher Verantwortlichen? Die höher Verantwortlichen werden sich dann natürlich auch wieder darauf berufen, dass sie auch ihrerseits ihre Weisungen hatten. Und dann wird man auch bei Herrn Putin ankommen.“ Abseits dieser abstrakten Einschätzung zeigt sich Professor Schomburg verärgert, dass eine internationale Strafverfolgung von Putin nicht sichtbar sei. Auch gebe es keine öffentlichen Entscheidungen aus Den Haag, weder Haftbefehle noch Anklagen.

In der „Süddeutschen Zeitung“ stellt er fest: „Es fehlt mir, dass der Internationale Strafgerichtshof klar zeigt, wohin seine Ermittlungen gehen.“ Es fehle das Entscheidende: „Ein Haftbefehl, auch wenn der derzeit noch nicht vollstreckt werden könnte, könnte große Wirkung zeigen.“ Als Adressaten nennt er Präsident Wladimir Putin, Außenminister Sergej Lawrow oder Dmitri Medwedew, Vizechef des russischen Sicherheitsrates.

 

Chefankläger entscheidet selbst

Nicht nur Schomburg, sondern auch andere renommierte Richter mit internationaler Erfahrung kritisieren die offensichtliche Untätigkeit des Internationalen Gerichtshofes.

Die bereits überreichliche Beweislage gegen den russischen Oberbefehlshaber Putin begründe schon längst eine Anklage und einen Fahndungsaufruf durch Interpol. Damit wären die 123 Mitgliedsstaaten des Strafgerichtshofs verpflichtet, Putin festzunehmen und auszuliefern. Karim Khan, Chefankläger in Den Haag, ist unabhängig und entscheidet selbst, wann er die Beweislage für ausreichend hält. Möglicherweise befindet er sich gerade in einer Langzeit-Medien-Fasten-Phase.